Schwebebahnen [2]

[694] Schwebebahnen, gebräuchliche Bezeichnung für eine dem Personenverkehre dienende Hängebahn (s.d., S. 345). Die für Güter- und Massenbewegung, insbesondere die Förderung und Lagerung im Innern industrieller Anlagen und dergl. überaus wertvolle außergewöhnliche Bahnart bewährte sich in der nach dem System Langen erbauten einschienigen Stadtbahn Elberfeld-Barmen-Vohwinkel (seit 1900) und der Loschwitzer Bergschwebebahn [1].

Die im Betriebe gesammelten, recht günstigen Erfahrungen und sonstigen Vorzüge des Systems veranlaßten wiederholt die Aufteilung von Schwebebahnentwürfen als Konkurrenzprojekte für großstädtische Schnellbahnanlagen, besonders der Hochbahnen.

Die Frage, ob der Schwebe- oder der Standbahn im Stadtinnern der Vorzug zu geben sei, ist zunächst als eine rein wirtschaftliche aufzufassen. Die Gesamtkosten leistungsfähiger Anlagen können mit 2–3 Millionen Mark für den Bahnkilometer (Elberfeld-Barmen-Vohwinkel 1,15 Millionen Mark) begrenzt werden und stellen sich demnach geringer als jene der Hoch- oder gar der Untergrundbahnen im allgemeinen. Geringere Kosten der Betriebsführung verspricht auch die Möglichkeit, den Wagenraum bezw. das Fassungsvermögen dieser vergrößern zu können. Anhänger der Schwebebahn heben als besondere Vorzüge hervor: Große Bewegungsfreiheit, da scharfe Kurven trotz hoher Geschwindigkeit zulässig (Elberfeld-Barmen-Vohwinkel 40–50 km stündl. Höchstgeschwindigkeit; kleinster Halbmesser 90 m, Nebengleise bis 8 m); Möglichkeit der Führung in engen Straßen; geringe Behinderung des Zutritts von Licht und Luft zufolge der hohen Lage und Ausbildung der Tragkonstruktion. Die Schaukelbewegung der aufgehängten Wagen ist verhältnismäßig gering, das Geräusch beim Befahren zu dämpfen. Die Weichen, der schwächste Punkt, sind Schiebeweichen (ehedem Kletterweichen), deren Gefahrmomente im elektrischen Betriebe durch entsprechend geregelte Ausschaltung des Stromes [695]

für die unrichtige Fahrstraße bedeutend vermindert werden kann [2].

Die Frage der Systemwahl hat sowohl gelegentlich der Projektierung der Hamburger, als auch insbesondere der Berliner Schnellbahnen zu interessanten Auseinandersetzungen Veranlassung gegeben [3]. Zur Förderung des Berliner Entwurfes »Gesundbrunnen-Rixdorf« errichtete die Kontinentale Gesellschaft für elektrische Unternehmungen im Jahre 1908 eine Probestrecke in der nur 22 m breiten Brunnenstraße. Sie war bezüglich der konstruktiven Durchbildung (Entwurf R. Petersen, Berechnung L. Vianello [4]) und Formgebung (nach Grenander, Kaiser und Möhring) völlig neu (s. Fig. 13) [5], Ein durchbrochener Flachträger ruht, in 15 m Abstand, auf inmitten der Fahrbahn aufgestellten Säulenstützen. Die beiden ersten Schienenträger werden durch eine weitmaschige Schuppenverspannung von 5 m Feldweite untereinander verbunden. Für das durchlaufende fest vernietete Tragwerk sind in 150–200 m Entfernung Ausgleichstellen bezw. Ankerjoche vorgesehen; im übrigen sollen die 10 m hohen Säulen durch die Temperaturschwankungen bedingte Verbiegungen in der Längsrichtung des Bauwerkes erlauben. Die Stützenfüße werden mittels Gitterbalken in zwei schweren Betonklötzen verankert. Die Laufschiene liegt auf kurzen Querschwellen, denen schalldämpfende Wirkung zukommt. Die gleichfalls auf den Schwellen befestigten Speise-Fahr- und sonstigen Leitungen sind ebenso wie die andern Teile von einem schmalen Laufstege aus zugänglich. Die Anordnung einer Stationsanlage ist aus dem Querschnitte Fig. 4 zu entnehmen. Die 50 Plätze enthaltenden Wagen der Elberfelder Schwebebahn hängen an zwei Traggestellen. Jedes dieser hat zwei Laufachsen, zwischen denen ein Elektromotor angebracht ist. Ein Entgleisen oder eine Trennung des Wagens von der Fahrbahn ist ausgeschlossen. Luftdruck-, Hand- und zwei elektrische Bremsen wurden vorgesehen.

Man beschäftigt sich übrigens mit dem Gedanken, zur Förderung statt der elektrischen Motore an den Wagen angebrachte Luftschrauben zu verwenden, die von Gasmotoren angetrieben werden, wobei besonders große Geschwindigkeiten erzielbar sein sollen. Eine derartige Anlage plant S.W. Fawkes für eine 20 km lange Schwebebahn zwischen Glendale, einer Vorstadt von Los Angelos und Burbank (Kalifornien) [6], Eine immer größer werdende Verbreitung finden die Seilschwebebahnen, bei denen die steife, ruhig gelagerte Fahrschiene durch das Seil ersetzt wird (s. Seilbahnen). Auch sie dienen vielfach dem Personen- bezw. Vergnügungsverkehre als Bergschwebebahnen, Berg- oder Seilaufzüge.


Literatur: [1] Bleichertsche Elektrohängebahnen: Ztg. d. Ver. d. Eisenbahnverw. 1909, 1912, 1913; Schweiz. Bauztg. 1910, I; Organ f. d. Fortschr. des Eisenbahnw. 1910, 1913. – Petersen: Städtebauliche Vorträge. Die Aufgabe des Großstadt-Personenverkehres und die Mittel zu ihrer Lösung. Berlin 1908. – Heubach: Das deutsche Eisenbahnw. der Gegenwart, Kap. XII, Berlin 1911. – Die Loschwitzer Bergschwebebahn: Annalen f. Gew. u. Bauw. 1906, II. – [2] Voos & Dietl: Schwebebahn oder Standbahn. Ztg. d. Ver. d. Eisenbahnverw. 1907, 1908. – Birk: Zur Frage der elektr. Stadt- und Vorortsbahnen in Hamburg. Zeitschr. f. d. ges. Lokal- und Straßenbahnw. 1904. – Platzmann: Bauweise und Wirtschaftlichkeit städt. Schnellbahnen. Ztg. d. Ver. d. Eisenbahnverw. 1907. – [3] Pforr & Schaar: Gedanken über die Schnellbahnen in Berlin, insbesondere über Schwebebahnen. Ztg. d. Ver. d. Eisenbahnverw. 1909. – W. Berdrow: Schwebebahnprojekt f. Berlin. Ztg. d. Ver. d. Eisenbahnverw. 1905, 1906, auch 1907. – Schiff: Die Schnellbahnfrage, Berlin 1912. – Wettbewerb über architekt. Ausbildung der Schwebebahn. Zentralbl. d. Bauw. 1906. – [4] L. Vianello: Der Flachträger. Durchgehender räumlicher Träger auf nachgiebigen Stützen. Ztg. d. Ver. d. Ing. 1907, Nr. 42. – [5] Schwebebahnausführung in. der Brunnenstraße, Berlin. Ztg. d. Ver. d. Eisenbahnverw. 1908, Organ f. d. Fortschritte d. Eisenbahnw. 1908. – Wittig: Die Weltstädte und der elektr. Schnellverkehr, Berlin 1909. – Zum Entwurf einer Schwebebahn in Berlin. Denkschr. der Kontin. Ges. s. elektr. Unternehmungen in Nürnberg 1905. – [6] Schwebebahn und Luftschrauben: Organ f. d. Fortschritte d. Eisenbahnw. 1912. Elektric Railway Journal 1911, Bd. 37; Revue Generale de Chem. d. s. e. d. Tr. 1911 (Sept.). – [7] Schwebebahn oder feste Seilbahn? Ztg. d. österr. Arch.- und Ing.-Vereins 1912. – Einige neuere elektr. Bergaufzüge: Annalen f. Gew. u. Bauw. 1910, I.

Steiner.

Fig. 1., Fig. 2., Fig. 3.
Fig. 1., Fig. 2., Fig. 3.
Fig. 4.
Fig. 4.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 9 Stuttgart, Leipzig 1914., S. 694-696.
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